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aus: Ägyptisches Museum Berlin, (Verlag G. Westermann), S. 103-104

[ohne Jahresangabe und ISBN ?1982?]

Recycling

Wohin mit dem Müll? Heute in der Industriegesellschaft ein Problem, in Altägypten dagegen eine Lappalie. Ob Küchenabfall, Stroh, Viehmist, Tonscherben, Asche - oder Altpapier: alles landete auf der Müllhalde dicht am Stadtrand. Der vom Winde verwehte Wüstensand überdeckte - und konservierte alles, auch das vergängliche Material Papyrus, das Schreibpapier der Ägypter, jahrtausendelang. Papyrus (daher unser Wort �Papier") wurde aus den längsgeschnittenen, queraufeinandergelegten und zusammengedrückten Stengeln einer Sumpfpflanze, eben dieser Papyruspflanze, gewonnen. Obwohl auch andere Schriftträger - Tonscherben , Tierknochen , Pergament, Leder, Holzbretter - aus Ägypten bekannt sind, sind die meisten schriftlichen Zeugnisse auf Papyrus zu uns gekommen.

Ende des vorigen Jahrhunderts entschlossen sich die Europäer, die antiken Schutthügel systematisch nach Papyri zu durchsuchen. Daran waren | auch Berliner, unter anderen Ulrich Wilcken, Otto Rubensohn, Friedrich Zucker und Wilhelm Schubart, beteiligt, die an verschiedenen Orten Ägyptens Ausgrabungen ausführten, besonders auf der Nilinsel Elephantine und Abusir el Melek. Das krause, zerknüllte Ergebnis derartiger unternehmungen wurde nach Berlin verfrachtet und kam in die Ägyptische Abteilung der königlichen Museen, wo dieselben Männer, Ausgräber und Papyrologen zugleich, die unansehnliche Fracht nach verborgenen literarischen Schätzen durchsuchten. Das geschieht auch heute noch in der dritten Generation.

Bevor aber die verstaubten und zerfetzten Papyri die Geheimnisse ihrer Beschriftung hergeben, müssen sie erst mit Wasserdampf flexibel gemacht werden, worunter die wasserunlösliche Tinte nicht leidet. Anschließend werden sie geglättet.

Selten hat man es mit ganzen Papyri zu tun. Viel öfter muß man mühsam versuchen, aus vielen Fragmenten ein möglichst vollständiges Stück zusammenzupuzzeln. Wenn es gelingt, kann das Schriftstück gelesen werden. Was steht denn da so drauf? Meist Alltägliches: Steuerquittungen , -berichte, -schätzungen, Pacht-, Miet-, Darlehns-, Heirats- und Scheidungsverträge, Inventarlisten, Verwaltungskram. Aber hier und da findet man ein Fragment untergegangener klassischer Literatur - ein wahrer Schatzfund aus der Abfallhalde der Antike!

Brief eines Sotas an Athenodoros auf einem Papyrus der augusteischen Zeit, 1975 gewonnen aus aufgelösten Mumienkartonagen

Eine andere Art, alte ausgediente Papyri - Makulatur also - loszuwerden, war ihre Wiederverwendung bei der Herstellung von Mumienhüllen. Dabei wurden schichtweise Papyri aufeinandergeklebt, im feuchten Zustand mumiengestaltig geformt, mit Stuck überzogen und bemalt: Recycling in Altägypten! Heute löst man die von antiken Grabräubern zerfetzten Hüllen Lage für Lage voneinander und gewinnt somit die alten Schriftstücke zurück. So wurde erst kürzlich aus einer Hülle im Ägyptischen Museum dieser Brief gewonnen, der zu einer ganzen Korrespondenz aus der Regierungszeit Augustus' (30 v. - 14 n. Chr.) gehört. Ein gewisser Sotas berichtet Athenodores (der Hauptperson des Archivs) , daß er in einem Tempel ungerechterweise eingesperrt sei - warum, schreibt erleider nicht. Derartige Hinweise auf Tempelhaft in Ägypten sind selten und noch nicht eindeutig zu interpretieren.

Unsere Kenntnis über die unterschiedlichsten Lebensbedingungen der Menschen in der Antike verdanken wird im weiten Maße der stillen und entsagungsvollen Forschungsarbeit der Papyrologen.

Wm. Br.