Das Lateinische begann seine Bedeutung zu verlieren. Die Zeiten gingen zu Ende, in denen jeder einzelne alle Naturwissenschaften gleichzeitig vertreten mußte, und es wurde von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schwieriger, dem Fortschritt der wissenschaftlichen Gesamtentwicklung zu folgen. Trotz einer sich abzeichnenden Tendenz zur Spezialisierung gehörten dieser Epoche noch eine Reihe hervorragender allgemeingebildeter Naturwissenschaftler an: BACON (1561-1626), GALILEI (1564-1642), KEPLER (1571-1630), DESCARTES (1596-1650). Es wuchs das Bedürfnis nach gegenseitiger Verständigung; Vereine und gelehrte Gesellschaften wurden gegründet:
1603 in Rom: Akademie der Luchsäugigen
1657 in Florenz: Akademie der Experimente
Beide Akademien gingen jedoch durch die Eifersucht der päpstlichen Kurie bald zugrunde. In Deutschland gründete J. JUNGIUS 1622 in Rostock eine Akademie, der wegen des Dreißigjährigen Krieges auch keine lange Lebensdauer beschieden war.
1663 entstand eine Akademie in Oxford, die später unter Karl II. (von England) in eine Königliche Gesellschaft (Royal Society) umgewandelt wurde. Sie gehört auch heute noch zu den renommiertesten, international anerkannten Vereinigungen.
1666 war das Gründungsjahr der Pariser Akademie der Wissenschaften.
Die entscheidenden Beiträge zum Fortschritt der Botanik waren die Versuche, die Vielfalt der Pflanzenarten in ein natürliches System zu bringen. CARL v. LINNÉ gilt als Begründer der modernen Pflanzensystematik. Natürlich bauen auch seine Arbeiten auf Ergebnissen und Erkenntnissen anderer Forscher auf. Im folgenden werden einige der bekanntesten Botaniker vorgestellt, auf deren Arbeiten sich LINNÉ stützen konnte. Viele der offenen Fragen bildeten Hauptforschungsthemen späterer Jahre (vor allem im ausgehenden 18., im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart).
J. JUNGIUS (geb.1587 in Lübeck, gest. 1657 in Hamburg); JUNGIUS war kein Botaniker, doch wie CESALPIN in Italien war er im deutschsprachigen Raum der erste, der philosophisch geschultes Denken mit genauer Beobachtung der Pflanzen zu verbinden wußte. Er verstand es, Begriffe eindeutig zu definieren, Definitionen zu formulieren, und schränkte somit die individuelle Willkür der Terminologie in der Systematik ein. Obwohl auch bei ihm scholastisches Gedankengut nachgewiesen werden kann, bemühte er sich, sich davon zu lösen. Um so mehr war er von mathematischen Denkweisen geprägt. Um sein Werk zu würdigen, seien einige seiner Ansichten vorgestellt: Er hielt es für logisch korrekt, daß genau definierte Begriffe, ebenso wie die Zahlen in der Mathematik, sichere, unabänderliche Werte seien. Er gilt als Begründer einer wissenschaftlichen Kunstsprache, die später von RAY ausgebaut und von LINNÉ vervollkommnet wurde. |
|
Auf Versuchen und auf den daraus gezogenen Folgerungen müsse alles beruhen. Unbegründete Autorität habe keinen Wert. Ebensowenig könne das Alter (und Altertum) die Gültigkeit einer Vorschrift begründen. |
|
Er forderte, daß alle Pflanzenteile, die ihrem inneren Wesen nach dieselben sind, wenngleich verschieden in ihrer Gestalt, ein- und denselben Namen tragen müssen. Auf diesem Grundsatz beruht die gesamte Terminologie: Blätter, Blattstiele und ihre Anheftung; Blüten, Früchte und Samen wurden abgehandelt. |
|
Für die Systematik bringt er keine Einführung, sondern kritisiert bestehende Ansichten und bringt neue Vorschläge: Er bezweifelt und verwirft die Einteilung in Bäume, Sträucher, Halbsträucher und Kräuter und macht deutlich, daß sich Halbsträucher und Sträucher von den Kräutern vornehmlich durch ihre "Ausdauer" (Mehrjährigkeit) unterscheiden.
|
|
Er unterscheidet zwischen wichtigen und unwichtigen Merkmalen:
|
Er definiert die Pflanze als einen lebenden, nicht empfindenden Körper. Sie ist ein, an einem bestimmten Ort oder eine an bestimmte Unterlage befestigter Körper, von wo aus sie sich ernährt, wächst und sich fortpflanzen kann. Sie ernährt sich insofern, als sie die aufgenommene Nahrung in Eigensubstanz umwandelt, um dasjenige zu ersetzen, was von der Eigenwärme und dem inneren Feuer verflüchtigt worden ist. Sie wird dabei größer und bildet neue Teile. Das Wachstum der Pflanze unterscheidet sich aber von dem der Tiere dadurch, daß nicht alle Teile gleichzeitig wachsen.
Die Fortpflanzung wird wie folgt definiert:
"Man sagt von einer Pflanze, sie pflanzt sich fort, wenn sie eine ihr spezifisch ähnliche erzeugt."
Wie bei CESALPIN wird der Artbegriff mit der Fortpflanzung verbunden. Dem britischen Biologen J. RAY (lat.: RAIUS) (1628-1705) gebührt Priorität für den Einsatz von Blütenmerkmalen zur Klassifikation von Pflanzen. Er unterschied nach eingehendem Studium pflanzlicher Embryonen klar zwischen Mono- und Dikotyledonen. Wie schon erwähnt, übernahm er die Begriffsterminologie von J. JUNGIUS und beeinflußte C. v. LINNÉ. Er stellte sechs Regeln auf (1703), die auch heute noch zu den Grundprinzipien der pflanzlichen Systematik gehören:
- Namen sollten nicht verändert werden, um Verwirrung und Irrtum zu vermeiden.
- Merkmale müssen distinkt und exakt definiert sein; solche, die auf relativen Beziehungen (wie Größenunterschieden) beruhen, sollen nicht verwendet werden.
- Merkmale sollen für jedermann leicht feststellbar sein.
- Gruppen, die von fast allen Botanikern anerkannt werden, sollen beibehalten werden.
- Es ist darauf zu achten, daß verwandte Pflanzen nicht getrennt, unnatürliche und einander fremde nicht vereinigt werden.
- Merkmale dürfen nicht ohne Notwendigkeit vermehrt, sondern es dürfen nur so viele aufgeführt werden, als zur sicheren Kennzeichnung erforderlich sind.
Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, versuchte er, größere Verwandtschaftskreise abzuleiten (Familien, Gattungen), führte Definitionen für einzelne Gattungen ein und stellte auf dieser Grundlage einen Bestimmungsschlüssel auf. Trotz vieler guter Ansätze verharrte auch er noch bei der Trennung in Holzpflanzen und Kräuter.
Das Problem der Verwandtschaft, die Definitionen von Gattungen und Familien wurden auch von einer Reihe anderer Botaniker angegangen. Der Leipziger Mediziner und Philosoph A. BACHMANN (lat. RIVINUS, 1652-1725) schlug - ohne aber sich selbst daran zu halten - eine binäre Nomenklatur vor. Er postulierte, daß der Gattungsname bei jeder Art genannt werden müsse und der spezifische Artname ihm als Adjektiv zu folgen habe.
Bliebe noch der Franzose J. P. de TOURNEFORT (1656-1708) zu nennen. Durch viele Reisen (Frankreich, Spanien, Portugal, Holland, England, Griechenland, Kleinasien, Afrika) erwarb er eine breite Artenkenntnis. Von seiner Griechenland/Kleinasienreise allein brachte er 1300 neue Arten mit. Auch er bemühte sich, die Vielfalt der Arten in einem natürlichen Verwandtschaftssystem zu ordnen. Wie RAY erkannte er die Bedeutung des Blütenbaus für dieses Vorhaben. Sein System stützte sich auf die Form der Blütenkrone. Dabei konzentrierte er sich vor allem auf Verwachsungen von Blütenblättern sowie die Unterscheidung von Ober- und Unterständigkeit des Fruchtknotens. Gattungen wurden exakt definiert und die Diagnosen durch detaillierte Zeichnungen des Blüten- und Fruchtbaus illustriert. Den einzelnen Arten maß er keine zu große Bedeutung bei; er zählte sie unter der jeweiligen Gattung lediglich auf.
Alle Versuche, natürliche Verwandtschaften abzuleiten, krankten an z.T. noch falschen Voraussetzungen. Man glaubte, durch einige leicht wahrnehmbare Merkmale, deren systematischer Wert a priori in subjektiver Auswahl bestimmt wurde, zu einer natürlichen Verwandtschaft zu kommen. Eine Wende trat erst mit CARL v. LINNÉ ein. Er machte deutlich, daß es ein natürliches System geben müsse, das aber nicht nach den bisherigen Verfahren der Wahl willkürlicher Merkmale charakterisiert bzw. aufgestellt werden könne.
CARL v. LINNÉ (geb. 1707 in Rashuld, Südschweden, Professor der Anatomie und Medizin, später der Botanik in Uppsala, gest. 1778) gilt als Begründer der Pflanzen- und Tiersystematik. Sein Biograph K. HAGBERG schrieb 1946:
|
1735 erschien CARL v. LINNÉs Hauptwerk: Systema naturae in erster, 1759 in 10. Auflage. Zu seinen weiteren wichtigen Werken gehören: Fundamenta botanica (1736), Bibliotheca botanica (1736), Flora lapponica (1737), Hortus Cliffortianus (1737), Critica botanica (1737), Flora svesica (1745), Philosophia botanica (1751), Species plantarum (1753).
Unter seiner Führung entwickelte sich Uppsala zu einem Zentrum internationaler botanischer Forschung. Seine Schüler haben fremdländische Pflanzen in das LINNÉsche System eingearbeitet. LINNÉs Beiträge zur Systematik der Pflanzen (und Tiere) sind vielfältig, die Konsequenzen weittragend. Zu seinen Verdiensten gehört eine Zusammenstellung all dessen, was vor ihm geleistet worden war. Außerdem werden ihm folgende Neuerungen zugeschrieben:
1. Strenge Durchführung der binären Nomenklatur der Arten in Verbindung mit der sorgfältigen methodischen Charakterisierung der Gattungen und Arten, die er auf das gesamte damals bekannte Pflanzenreich auszudehnen suchte. Nach sich selbst benannte er seine Wappenblume Linnea borrealis. Nach heutigen Terminologierichtlinien ist es nicht gestattet, sich selbst im Namen einer neu beschriebenen Art zu verewigen.
2. Terminologie. Auf Arbeiten von JUNGIUS basierend, definiert er morphologische Begriffe. Bei der Beschreibung der Fruktifikationsorgane (Blüten) geht er weit über seine Vorgänger hinaus. Die Fruktifikation der Vegetabilien, schreibt er, ist ein temporärer Teil, welcher das Alte begrenzt und das Neue beginnen läßt. Einige Einzelheiten:
Kelch: begrenzt die Rinde in der Fruktifikation | |
Blumenkrone | |
Staubgefäße: erzeugen Pollen | |
Pistill, welches der Frucht anhängend, den Pollen aufnimmt. Es werden zum ersten Male Fruchtknoten, Griffel und Narbe deutlich voneinander unterschieden |
|
Perikarp: der die Samen enthaltende Fruchtknoten. Die Frucht wird als eigenes Organ beschrieben | |
Same: ein abfallender Teil der Pflanze | |
Receptaculum: alles, wodurch die Fruktifikationsorgane untereinander verbunden sind. |
Seine Definitionen wurden richtungweisend, und ohne sie wäre heute auch keine Pflanze zu beschreiben.
3. Artbegriff. Der Name LINNÉ ist untrennbar mit dem Artbegriff und mit der Annahme einer Konstanz der Arten verknüpft. Er postulierte, daß es genau so viele Arten gäbe, wie von Anfang an geschaffen worden seien. Er rückte jedoch von dieser These in der letzten von ihm redigierten Auflage der "Systema naturae" wieder ein wenig ab. Als Varietäten definierte er solche Formen, die durch äußere Einflüsse wie Klima, Sonne, Wind, Wärme und Feuchtigkeit verändert worden sind. Jene können durch Größe, Blütenfüllung, Kräuselung, Farbe, Geschmack und Duft vom Typus abweichen.
4. Er sah in der Aufstellung eines natürlichen Systems die Hauptaufgabe der Botanik. In einem seiner Ansätze bemüht er sich, ein Verwandtschaftssystem, beruhend auf Verteilung, Zahl und Verwachsung von Staub- und Fruchtblättern, zu entwickeln (Sexualsystem). Er sah die Schwächen des Systems und suchte ohne viel Erfolg nach alternativen Konzepten. Seine Definition einer Konstanz der Arten bildete dabei ein offensichtliches Hindernis, denn sie negiert die natürliche Verwandtschaft, auf die es ja bei der Entwicklung eines natürlichen Systems ausschließlich ankommen sollte. Der Widerspruch blieb lange bestehen und wurde erst 1859 durch C. DARWIN gelöst.
Nachdem die Richtlinien der Systematik erarbeitet waren, konnte die Klassifizierung der Pflanzen zügig vorangetrieben werden: A. L. de JUSSIEU (1748-1836) konzipierte Familiendiagnosen (unter Berücksichtigung der Merkmale von Blüte und Frucht und der vegetativen Organe). Anstelle der bloßen Aufzählung kleiner, nebeneinanderstehender Gruppen, führte er die Einteilung des Pflanzenreiches in größere und graduell subordinierte (untergeordnete) Gruppen ein, was LINNÉ ausdrücklich als über seine Kräfte gehend bezeichnet hatte.
Eine aktuelle und ausführliche Darstellung der Geschichte der Systematischen Botanik seit ihren Anfängen (mit zahlreichen www Quellenangaben) findet man bei
|