Den herzlichsten Heimatgruß Euch Lieben allen aus dem schönen Neapel, in dem ich heut morgen glücklich angekommen bin und in das ich euch heut abend gar zu gern auf ein Stündchen herzaubern möchte. Die glühende Lava des Vesuvs schimmert so prächtig aus den gestreckten Flanken des Feuerbergs herüber, daß man meint, man müßte dadurch, wie durch Fenster, in das roterleuchtete Innere desselben schauen können. Leider habe ich heute nur provisorisch eine Stude beziehen können, aus deren einzigem, kleinen Fenster ich grade die obere Hälfte des Vesuvs mit den rot glühenden Feuerflecken über die Dächer herüberschauen sehe. Es ist dasselbe Zimmer, wo Dr. Diruf früher viele Jahre gewohnt hat. Meine bleibende Wohnung, welche durchaus am Strand, an der Santa Lucia, sein muß und von welcher aus ich die herrlichste Aussicht auf das Meer und das ganze Sorrentinergebirge samt dem vollen Vesuv haben werde, kann ich leider erst in der nächsten Woche, vielleicht sogar noch später beziehen, da grade jetzt der größte Fremdenverkehr ist, besonders durch die Engländermassen, welche nach dem Karneval hierher gekommen sind und zu Ostern wieder nach Rom zurückkehren. Auf der ganzen Santa Lucia haben sie jetzt sämtliche Quartiere mit Beschlag belegt. Es ist mir dieses besonders deshalb unangenehm, weil ich nicht eher, als ich am Strand wohne, zu arbeiten anfangen kann, wonach ich jetzt große Sehnsucht habe. Indes werde ich diese Zeit, wo ich in der Stadt wohnen muß, möglichst benutzen, um mich mit der herrlichen Umgegend bekannt zu machen. Hätte ich dies aber vorher gewußt, so wäre ich sicher lieber noch die nächste Woche in dem herrlichen Rom geblieben, von dem mir der Abschied sehr schwer geworden ist. Noch bis zum letzten Tage schwankte ich, ob ich gehen oder bleiben sollte, und nur der Wunsch nach Arbeit und die Furcht, dort gar zu sehr in die herrliche Kunstbummelei mich zu versenken, so daß ich nach neuen vier Wochen nur um so unlieber foretgegangen wäre, bestimmten mich zur Abreise . . .
Der ganze letzte Tag in Rom (26. 3.) wurde mir leider durch die ekelhaften Paßplackereien verbittert. Nur am frühesten Morgen brachte ich noch drei glückliche Stunden in der wundervollen, antiken Ruinenstadt auf dem Forum, Kolosseum, Kapitol usw. zu, von denen ich mich nur schwer trennen konnte. Um 6 Uhr abends fuhr ich mit dem Vetturin ab und war am Morgen um 7 Uhr in Civita vecchia, wo ich mich alsbald auf den stattlichen französischen Postdampfer "Vatikan" begab, welcher um 2 Uhr nachmittags abfuhr und uns beim schönsten Wetter in der Nacht hierher brachte. Schon um 4 Uhr früh bemerkte ich aus dem Fensterloch meiner Kabine das Glühen der Lava an dem wunderbaren Vesuv. Ich stand sogleich auf und genoß noch den vollen Anblick der Einfahrt in den herrlichen Hafen. Die Ankunft selbst wurde mir durch die widerwärtigen Plackereien mit Facchinis, Bootführern, Douanebeamten usw., die hier niederträchtiger als irgendwo in Italien sind, sehr verbittert. Hätte ich mir nicht schon eine gute Portion Gleichmut und energischer Festigkeit angewöhnt, so hätte ich, wie meine Reisegefährten, die ganze Reise verwünschen müssen. Doch wurde ich bald wieder durch den Anblick der wundervollen Natur versöhnt. Mein erster Gang war an die S. Lucia, wo ich mit Wonne meine Hände in die "göttliche, heilige Salzflut" tauchte und mit Entzücken die Masse herrlicher Algen, kleiner Polypen und Seesterne betrachtete, mit denen alle Felsen und Steine dicht bedeckt sind. Dann ging ich zu den deutschen Landsleuten Dr. Binz und Apotheker Berncastel, welche mich sehr freundlich aufnahmen. An letzteren adressiert nur noch die Briefe, bis ich eine definitive Wohnung habe: Herrn Dr. E. Häckel aus B. p. Adr. Signore Ernesto Berncastel, Farmacia Prussiana, Large S. Francesco di Paolo 7. Napoli. - Via Marseille . . .