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Italienfahrt - Ernst Haeckel

Napoli, 9. 4. 1859.

Brief Nr. 13

Schon 14 Tage bin ich nun in dem großen, prächtigen Neapel, und doch fühle ich mich darin noch ebenso fremd, ebenso unheimlich als in den ersten Tagen nach der Ankunft. Ja, das Mißbehagen, das Heimweh und das ungemütliche Fremdgefühl haben in den letzten Tagen eher noch zu- als abgenommen, vielleicht mit infolge des traurigen Regenwetters und des deprimirenden Sirokko, der seit mehreren Tagen weht. Selten habe ich mich so schwer an fremde, neue Verhältnisse gewöhnt als hier, und es scheint fast, als sollte die Prophezeiung der Frau Blöst wahr werden, die mir schon in Rom das Ungemütliche des hiesigen Lebens schilderte und mir sagte, daß es in Neapel grade umgekehrt sei wie in Rom, wo man sich mit jedem Tage beahglicher und mehr zu Hause fühlt. Ich hatte gehofft, daß alle die tausend ekelhaften Quälereien und Unannehmlichkeiten, denen der Fremde hier anfangs ausgesetzt ist, mit den ersten acht Tagen vorbei seien, und daß ich in meiner neuen Wohnung darüber hinweg sein werde. Doch war das eine Illusion, aus der mich meine gauerischen Wirtsleute jetzt täglich herausreißen. Die infame Art, mit der man hier in jeder Beziehung täglich an der Nase herumgeführt und geprellt wird, übersteigt in der Tat alle Grenzen, und die freche Unverschämtheit der Leute ist so groß, daß ein Deutscher wenigstens nichts dagegen ausrichten kann. Mit der geringsten Kleinigkeit hat man die größten Schwierigkeiten und Weitläufigkeiten, und ich war nur froh, wenigstens alle Utensilien für meine Arbeiten mitgebracht zu haben, da hier auch das Gewöhnlichste kaum zu haben ist. Z. B. ist gewöhnliches Schreibpapier nur sehr schlecht und teuer zu haben. Warum? Weil unter 100 Menschen höchstens einer schreiben kann.

Die größte Not habe ich mit den Fischern, um das nötige Material für die Arbeiten zu bekommen. Da sie jetzt durch die vielen Fremden hier anderweitigen Verdienst genug haben, sind sie nicht dazu zu bringen, mir die bestellten Tiere zu besorgen, und wenn sie sie bringen, verlangen sie unverschämte Preise. So bin ich bis jetzt fast ganz auf das Wenige angewiesen, was der dürftige Firschmarkt der S. Lucia mir unmittelbar unter meinem Fenster bietet, fast nur Seeigel und ein paar Muscheln, sowie auf die kleinen Sachen, die zwischen den Algen an den Felsen des Hafendammes und des Castel dellī ovo sitzen, und die ich mir von den Felsen selbst zusammensuche. Doch hoffe ich, soll das in der nächsten Woche besser gehen, wo ich mit den Netz fischen werde, und wo auch wohl die jetzt noch verreisten Professoren Costa und Guiscardi mir passende Fischer zuschicken werden. Bisher hatte mir nur ein Korallenfischer ein hübsches Tier gebracht, eine sehr große (dreiviertel Fuß lange) Salpe, von der ich glaube, daß es eine neue Art ist, mit zwei ohrenförmigen Verlängerungen hinten.

Sowohl dies dürftige Material als das unbehagliche Gefühl, noch kein bestimmtes Objekt für eine zusammenhängende Arbeit zu haben, haben mich in dieser Woche nicht zu stetiger, ruhiger Arbeit kommen lassen. Dazu kommt noch, daß ich durch die bunte, zerstreuende Beschäftigung der letzten Zeit, durch die vielen großen Kunstgenüsse Roms etwas verwöhnt bin. Ich habe da im Vollgenuß der unmittelbaren Anschauung meine Gedanken immer so frei gehen lassen, wie es der erhabene schöne Gegenstand mit sich brachte, und dieses hingebende Aufnehmen war der größte Genuß und hatte mir alle Einzelheiten tief ins Gedächtnis geprägt. Die reiche Beschäftigung der Sinne und Gedanken war aber dabei so vielseitig und verschiedenartig, daß sie sich ordentlich daran gewöhnte, jeden Tag eine gewisse Quantität neuer, schöner und großer Eindrücke aufzunehmen. Damit kontrastiert nun freilich stark das jetzige Stillsitzen, wo ich die Gedanken wieder ganz auf einen einzigen kleinen Gegenstand fixieren und dabei den ganzen Tag über fest gespannt halten soll. Schon das Stillsitzen allein, zwölf Stunden hintereinander, wird mir schwer, da mir die viele und angestrengte Bewegung der letzten Wochen außerordentlich wohlgetan hatte, und mein Kadaver dabei recht heraufgekommen war. Doppelt schwer wird aber das Festsitzen in dieser prachtvollen Natur, wo das azurblaue Meer, der wolkenlose, sonnige Himmel, der rauchende, farbige Berg mir gegenüber und die ganze herrliche Landschaft, die mir jeder Blick aus dem Fenster zeigt, beständig ins Freie locken. Besonders schwer war da das Zuhausbleiben in den ersten Tagen der Woche, wo das köstlichste Frühlingswetter mächtig ins Freie lockte. Doch blieb ich standhaft und meinem Vorsatz getreu am Studiertisch und verspare mir diese Freude auf die Sommermonate. In den letzten fünf Tagen erleichterte es mir der trübe, graue Regenhimmel, der auch den Vesuv ganz in Wolken gehüllt hat. Auf diese Weise ist mir diese zweite Woche hier sehr einsam und einförmig verflossen . . .


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Diese Seite wurde erstellt am 21. Juni 1999.