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Italienfahrt - Ernst Haeckel

Neapel, 3. 9. 1859.

Brief Nr. 43

Tausend Glückauf, mein Liebchen, innigsten Kuß und herzlichsten Gruß zu dem neuen Lebensjahr, das du am 14. September beginnst, hoffentlich recht frisch und munter und voll froher Hoffnung der reichen, köstlichen Zeit, der wir entgegengehn. Was gäb´ ich darum, heut ein Stündchen bei Dir zu sein, um Diur den reichen Quell meiner überströmenden Gefühle unmittelbar in Deine liebe, köstliche, offene Seele zu gießen. Wie ärmlich, dürr und nüchtern sind doch Federn und Papier, wenn sie versuchen wollen, solche Gedanken und Gefühle wiederzugeben; bleibt ja selbst das lebendige, warme Wort so oft hinter dem, was es sagen soll, so weit zurück, und ein Kuß auf Deine lieben Lippen, ein inniger Druck der warmen Hand sagt alles viel besser. "Da es aber nit kann sein" - mußt Du diesmal schon mit dem kalten, nackten, toten Wort auf dem Papier vorliebnehmen, welches mir manchmal wie ein ausgestopfter Vogel oder eine Seeanemone in Weingeist vorkömmt, die Leben, Bewegung und Farbe verloren haben. Auch die beifolgenden Reimereien, die mir heut bei der Überfahrt von Capri in den Sinn kamen, und die ich Dir, so schlicht und schlecht sie auch sind, doch schicken muß, werden nicht viel dazu beitragen, meinen innigen, warmen Gefühlen der glücklichen Zufriedenheit und der süßen Zukunftshoffnung, die mich an Deinem Geburtstag, meinem höchsten Feiertage, beseelen, einen besseren und lebendigeren Ausdruck zu geben. Bei solchen Gelegenheiten empfinde ich meine rohe Formlosigkeit immer doppelt schmerzlich, da der reale Ausdruck der reichen Fülle idealer Anschauung so wenig entspricht und beneide recht meinen Freund Allmers um sein schönes Dichtertalent, mittelst dessen er seine tiefen Gedanken mit wenigen Worten so schön gestalten kann . . .

Ich werde Deinen Geburtstag vermutlich an der Nordküste Siziliens feiern, vielleicht in dem herrlichen Cefalû, dessen gewaltiges Bild, kühn auf steilstem Fels am Meer thronend, uns auf der letzten Gemäldeausstellung in Berlin so sehr entzückte, vielleicht auch schon in Palermo, wohin von Messina aus zunächst die Reise gehen wird. Wir werden nämlich am 9ten von hier aufbrechen, nachdem vorher am 8ten zu Ehren unseres Abschieds noch das größte Volks- (d. h. Soldaten-) Fest Neapels, das Piedigrottafest, gefeiert worden ist. Am 10ten werden wir in Messina sein und von da längs der Nordküste (etwa in 4-6 Tagen) nach Palermo gehen. Dann wahrscheinlich quer durch die Insel nach Girgenti, und dann über Syrakus, Catanea, Ätna, Taormina, an der Ostküste zurück, so daß uns die Krona aller Genüsse bis zuletzt aufgespart bleibt. Wir werden wohl unserer drei sein, indem außer Allmers auch noch ein Freund desselben, ein Genremaler Willich aus Rom mitgehen wird, den ich zwar noch nicht kenne, für den ich aber schon dadurch ein sehr günstiges Vorurteil habe, daß er als badischer Freischärler 1849 zum Tode verurteilt wurde . . .

Von Capri habe ich so ziemlich jeden interessanten Punkt gezeichnet und dürfte auch schwerlich ein anderer "forestiere", höchstens ein deutscher oder englischer Dichter, Maler oder Naturforscher so in allen Felswinkeln umhergeklettert, auf alle Höhen gestiegen, in alle Grotten hineingeschwommen sein, wie ich es getan habe. Das war einmal ein wirklicher Genuß, und solche Bilder bleiben in aller Glut der Farbe und allem Zauber der Form zeitlebens, während die gewöhnlichen, touristischen Reiseerinnerungen, wo man immer nur unstet von einem Ort zum andern eilt, nur ein flüchtiges, allgemeines Panoramabild in der Seele zurücklassen, das sich von Jahr zu Jahr mehr in nebelhaften Duft und zu unbestimmten Schattenrissen verflüchtigt. Aus diesem Grunde verspreche ich mir von der sizilianischen Reise, so sehr ich mich sonst darauf freue und gespannt bin, weniger Genuß, da es, schon des teuern Geldes wegen, immer etwas in hastiger Eile gehen und vom Malen, woran mir jetzt alles liegt, nicht viel die Rede sein wird. Vor dem Winter in Messina habe ich ein gelindes Grauen, besonders wenn ich daran denke, wie oft ich bisher vergeblich meine Untersuchungen angefangen habe. Dort - oder niemals - muß aber durchaus ein Erfolg errungen werden. Ich wollt´, der böse Winter wär´ vorüber und ich könnte diriitissimamente in Deine Arme eilen, mein bestes Herz. -  . . .

Tausend, tausend herzlichste, innigste Grüße und Küsse

von Deinem lieben treuen Erni.


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Diese Seite wurde erstellt am 3. August 1999