[Auszug aus einem Brief des Naturalista migratorius E. H. an seine Mutter, seine merkwürdigen Inexpressibles betreffend: ] Liebe Mutter! Du erinnerst Dich vielleicht dunkel noch, daß ich, als wir zusammen den Koffer für die italische Reise packten, die großen, zum Sammeln der Seethiere bestimmten Gläser in ein paar alte weiße, rotgestreifte Sommerhosen wickelte. D. h. alt waren sie eigentlich nicht, obschon bereits im Jahr 1851 n. Chr. G., als ich noch das Merseburger Gymnasium besuchte, geboren. Allein damals durfte ich sie nicht tragen, da Vater die weiten Hosen, für die ich so schwärmte, nicht leiden konnte, und nun vollends von diesen, allerdings mehr als mäßig weiten Pumphosen behauptete, dakß sie ganz abscheulich aussähen und daß meine Flegelei (ich befand mich damals in der vollen Blüte der Flegeljahre!) darin viel zu weiten Spielraum hätte und übermütig würde. Mit schwerem Herzen mußte ich also die geliebten in den Kasten schließen und durfte sie nur zum Turnen und dann anziehen, wenn ich auf Mauern und Bäumen im Garten verstohlen umherkletterte. Auch später in Würzburg, wohin ich sie Sommer 1853 mitgenommen, gelangten die Guten zu keiner Anerkennung, da meine drolligen Freunde ebenso wenig Sympathie als Vater dafür fühlten und behaupteten, ich gliche darin eher einem türkischen Soldaten oder Matrosen, als einem reellen deutschen Studenten. So wären sie vielleicht, wie sie viele schlummernde Talente, unerkannt, ungeweckt und unbeachtet durch diese irdische Welt gegangen und nach einigen Jahren namen- und ruhmlos den Motten zur Beute geworden, wenn nicht die Reise nach Italien für sie wie für so viele bedeutende und unbedeutende Geister der maßgebende Wendepunkt irdischen Geschicks geworden wäre. Ein dunkler Instinkt leitete mich damals halb unbewußt, das edle Hosenpaar zum Einpacken der Gläser zu benutzen, nicht ahnend, welch großen Nutzen sie mir bringen würden. Der heiße Sommer in Neapel kam und mit ihm die volle Glut der südlichen Sonne, die so manchem schwitzenden, deutschen Gemüt sehnsüchtige Lobpreisungen seines milden, nordischen, heimatlichen Sommerhimmels entlockt. Hatten wir doch im Juni und Juli das Vergnügen, wochenlang zwischen 30-35o R im Schatten zu sitzen, resp. zu laufen und zu liegen, wobei das Thermometer selbst nachts oft keine 5o herunterging. Daß da Kleider überhaupt höchst lästig waren, kannst Du Dir denken, und zu Hausee machte man sich´s so natürlich und leicht als möglich; wollte man aber ausgehen, so war man nun, selbst auf dem paradiesischen Capri, denn doch gezwungen, mindestens Hosen und Hemd anzuziehen - und was mir nun die armen, alten, verachteten Pumphosen für treffliche Dienste leisteten, mögst Du begreifen. Nun ans Licht gezogen und zur gerechten Anerkennung gekommen, leuchteten ihre feinen roten Streifen auf dem lichtweißen Gewande doppelt schön, und doppelt leicht umwehte das leichte, dünne, kühle Linnen die beiden Gehwerkzeuge, die sich keine angenehmere Decke wünschen konnten. Unter solchen Umständen wurden die früher so Verachteten und Geschmähten jetzt sogar der Gegenstand allgemeinen Neides meines Landsleute, und besonders mein Zeltgefährte Allmers bedauerte sehr, nicht auch im Besitz gleicher Kleinode zu sein, besonders da er sehr bittere Erfahrungen mit echt neapolitanischen Sommerhosen zu machen Gelegenheit hatte. Er kaufte sich deren zwei Paar, jedes für einen ganzen Piaster; davon hielt das erste, blaukarierte 5 3/4 Stunden und löste sich nach der ersten Exkursion noch am ersten Tage in Fetzen auf; das zweite dagegen lebte bis zum folgenden Tage und konnte im ganzen 11 1/2 Stunden getragen werden, ehe es völlig in Trümmer ging. Nicht allein aber, dakß ir die trefflichen Matrosenhosen die übermäßig heißen Sommermonate in Neapel erträglich machten, nein, auch in dem paradiesischen Augustmonat unseres ganz urzuständlichen Lebens auf dem herrlichen Capri bildeten sie die beständige, weil einzige Hülle der unteren Extremitäten und wurden ihrer Tugend halber sogar von A. in einem besonderen Gedicht besunden. Ja, sie leisteten da wohl ganz Außerordentliches! Denn wenn man weiß, wie wir in jenen seligen Tagen überall umherstrichen, auf Felsen herabrutschten, in Dorngebüsch umher kletterten und ohne alle Rücksicht auf Kleidung durch dick und dünn gingen - der muß in der Tat die beispiellose Tugend dieses edlen Paares bewundern, das unversehrt aus allen diesen Kämpfen hervorging. Ja, unglaublich, aber wahr, auch auf der ganzen sizilischen Reise blieben sie die hauptsächlichste, fast die einzige Kleidung und bewährten auch hier ihre Tugenden aufs beste. Erst gegen Ende derselben trat die traurige Katastrophe, welche auch sie von der Bühne,wenigstens für die betreteneren Gegenden und Städte, abrief und ihre ehrenvolle Laufbahn schloß. Bereits am 14. 9., auf dem Monte Pellegrino, hatte ich einige verdünnte Stellen auf beiden Knien bemerkt, welche bald darauf in den Tempeln von Girgenti zu wirklichen Löchern aufbrachen. Diese wurden zwar glücklich gestopft; allein im weiteren Verlauf der Reise, besonders aber nach dem ersten zwölfstündigen Maultierritt, erschien auch eine höchst bedauerliche, schleierartige Verdünnung der gesamten Sitzgegend, welche bei dem zweiten, 14stündigen Ritt, von Caltagirone nach Palazzuolo, in Gestalt von etwa ein Dutzend größeren und kleineren Löchern zum Durchbruch kam. Das tragischste passierte aber in dem letzten Dorfe, 2 Stunden vor Palazzuolo. Wir hatten uns und unsere Maultiere an einem kühlen Brunnen gelabt und wollten nun wieder aufsitzen. Ich sprang mit dem gewöhnlichen kühnen Sprung in meinen hohen Sattel - da höre ich ein bedenkliches Geräusch, wie von durchrissener Leinwand, und fast gleichzeitig einen Schreckensruf meines Gefährten. Ich schaue nach meinem Fuß - und wer beschreibt mein Entsetzen und meinen tiefen Schmerz! - der ganze linke Unterschenkel hatte sich durch Selbstamputation in einem mächtigen Riß abgetrennt von Oberschenkel der linken Hose, und ich mußte, nur mit 1 1/2 Hosenbeinen angetan, hoch zu Maultier meinen feierlichen Einzug in Palazzuolo halten. Dabei wurde ehrenhalber das abgetrennte Hosenbein an die Stockspitze gebunden. In Palazzuolo flickte ich zwar dasselbe unter Aufgebot aller meiner Schneiderkünste wieder an; doch fiel diese Heilung immerhin sehr unvollkommen aus, und bei dem Umherklettern in den Steinbrüchen von Syracus gesellten sich dazu so viele neue und nicht mehr stopfbare Löcher an beiden Knieen, daß ich endlich das weitere Tragen aufgeben mußte, eigentlich nur durch Allmers moralisch gezwungen, welcher behauptete, in diesem Zustand mich nicht mehr begleiten zu können. Ihr letzter Tag war auch der letzte Tag in Syracus, der südlichste Punkt, den ich überhaupt erreicht habe, das höchst interessante fort Cyane! Nun, sie haben ihre Dienste getan - Friede ihren Lumpen! Sie werden inmitten meiner Reisetrophäen in meinem Studierzimmer prangen, wo auch der Strohhut, der Hammerstock, die Alpenschuhe usw. in Pension zusammen aufgehängt mich noch oft an diese schönen Reisetage erinnern werden. -