Glückauf, glückauf, mein liebster Herzensschatz! Das wäre also der erste Gruß wieder auf dem europäischen Festlande, den ich Dir so innig und tiefempfunden zusende, daß ich meine, Du müßtest es wissen, wie glücklich es mich macht, Dir auf einmal um ein paar hundert Meilen näher gerückt zu sein . . . Als ich heute auf dem Südbahnhof ankam und die Omnibus stehen sah, die die durchgehenden Passagiere auf den Nordbahnhof nach Bruxelles, Cologne, Berlin! - beförderten, war ich in der Tat schwankend, ob ich nicht doch noch durchreisen und auf Dampfesflügeln Dir in die Arme eilen sollte . . .
Seitdem ich Dir wieder so viel näher bin, mein liebster, bester Herzensschatz, ist mir fast zumute, als wärst Du mir neugeschenkt, und der glückselige Moment des Wiedersehens, der mir in Sizilien so fern und umschleiert vorlag, liegt nun auf einmal so nahe und klar, so wonnig und lebendig vor meinen Blicken, daß ich das ungeduldige Herz kaum mehr bezwingen kann und je eher, je lieber in Deine offenen, warmen Arme fliegen möchte. Nur der Gedanke, daß ich Paris doch vielleicht nie wieder zu sehen bekäme, und daß mich dies dann ewig reuen würde, vermochte mich doch noch, hierzubleiben und nicht dem Durchreisegelüste nachzugeben . . . Doch nun höre von meiner Reise! Meine letzte Woche in Messina, die letzten 8 Tage des März, waren noch recht dazu angetan, mich all das Schöne und Gute, was ich dort den Winter über genossen, noch einmal recht angenehm und warm empfinden zu lassen. Das anhaltende Regen- und Sturmwetter, das die vorhergehenden 14 Tage in beständigem Kampfe des Boreal und Sirocco gewütet, wich in den letzten Märzwochen einem warmen, wonnigen Frühlingswetter, das mich alle Reize des südlichen Frühjahrs recht lebendig empfinden ließ, freilich aber noch viel mehr die Vorfreude auf den ungleich reizenderen nordischen Frühling erweckte, der mich daheim bei meiner schönsten Blume erwartet. Ein paar dieser köstlichen Tage habe ich denn auch noch recht genußreich benutzt. Freitag, machte ich mit dem Botaniker von Messina, Professor Giuseppe Seguenza, einem sehr guten Kerl voll strebsamen Eifers und voll Verehrung und Respekt vor den deutschen Gelehrten, eine botanische Exkursion in die Bocchetta, eine sehr wilde, zerrissene Fiumare, die sich zwischen Fort Ganzaga und Castellacio in das Gebirge hinaufzieht. Wir fanden eine sehr schöne und seltene, nur bei Messina vorkommende Kaiserkrone, Fritillaria Messinensis - eine hübsche blaue Orchis (longicornis - unserer Morio ähnlich) und ein prächtiges großblumiges, blaues Veilchen (Viola gracilis), von welch letzterem ich meinem lieben, treuen, blauäugigen Liebchen ein paar Blüten als Frühlingsgruß von der hesperischen Insel diesem Brief beilege.
Samstag, 24. 3., schwelgte ich den ganzen Tag in italischen Pflanzenschätzen, indem ich Herrn Seguenza von der bei Neapel gesammelten Ausbeute Dubletten mitteilte und dafür von ihm ein sehr schönes und reiches Herbarium der Provinz Messina eintauschte, viele seltene und schöne Sachen.
Sonntag, 25. 3., hatte die deutsche Kolonie ein Picknick in Galati, einer 2-3 Stunden entfernten Fiumare im Süden (gegten Taormina hin) veranstaltet. Der Weg dahin wurde zu Esel gemacht, und diese Eselkavalkade (über 30 Herren und Damen) gehört zu den komischsten Erinnerungen meiner Reise. Ihr dürft dabei nicht an unsere deutschen Esel denken! In den sizilischen Eseln glüht das stolze Feuer des Südens (vielleicht auch das Bewußtsein ihrer klassischen Ahnen!), und wenn sie einmal im Gang sind, laufen sie so gut ihren Galopp wie unsere muntersten Pferdchen. Der Anführer des malerischen Zuges war Herr Kamp auf seinem Musteresel, der fast beständig galoppierte, und sobald sich dieser in Galopp gesetzt hatte, fing auch die ganze übrige Bande an, aus Leibeskräften zu galoppieren. Die ganze Szene und die dazu gehörigen Abenteuer der buntgemischten Gesellschaft waren so hochkomisch, daß wir fast in einem Lachen blieben und oft Mühe hatten, uns in den Sätteln zu erhalten. Auch sonst war die Partie höchst vergnüglich, vom schönsten Wetter begünstigt, und daher reich an Naturgenuß . . .
Montag, 26., und Dienstag, 27., war ich so kreuzlahm von dem ungewohnten mehrstündigen Galoppieren, und alle Glieder waren so zerschlagen, daß ich ruhig zu Haus blieb und zum letzten Male mich meiner Radiolarienschätze erfreute. Erst Mittwoch, 28. 3. war ich wieder mobil und benutzte den prächtigen Tag, um denn endlich einmal hinaus zu gehen und meinen längstgehegten Vorsatz auszuführen, mir ein paar meiner Lieblingspartien in Aquarell mitzunehmen. Ich wanderte zuerst nach der schönen Eremitage von Trapani, kletterte dann über ein steile Gebirgsrücken und durch ein paar sehr wilde Schluchten in die Fiumare S. Michele hinab, in deren Grunde hoch oben eine alte, sarazenisch-normannische Kirche steht, Abbadiazza oder S. Maria della Scala genannt, freilich nur eine Ruine, aber so malerisch schön und eigentümlich, überall von dichtestem Grün umwuchert und durchwebt, dazu bis an die Säulenknäufe herauf mit dem Kiesgeröll des Flußbetts erfüllt, daß die seltsame Szenerie wohl eines Gedichtes wert wäre, in dem man aus dem Lose dieses Gebäudes das der ganzen katholischen Kirche voraussagen könnte. Die Beleuchtung war an diesem Tage überaus prächtig, und spät am Abend zurückkommend, genoß ich noch von dem nah vor der Stadt gelegenen "Kapuzinerberg" den prächtigen Blick auf Meerenge, Stadt, Hafen und kalabrische Küste. Donnerstag, 29. 3., machte ich noch einige mikroskopische Präparate, sah mir noch einmal als Abschiedsgruß lebende Radiolarien an und packte dann den ganzen Beobachtungsapparat sehr befriedigt zusammen. Auch die Mikroskope, die nun bald ein halbes Jahr lang keine Ruhe gehabt hatten, wanderten in ihre Bettchen zurück. Nachmittag 5 Uhr ging ich mit dem Dr. v. B. und den beiden Lünebürger Zoologen zu Sarauws, wo zu Ehren meines Abschiedes ein sehr glänzendes Diner arrangiert war. Auch Peters und Herr Klostermann waren. dort. Das wird wohl das glänzendste diner sein, das mir je zu Ehren gegeben wird, so üppig und reich und dabei so nett und freundlich, daß ich ordentlich beschämt wurde über all diese unverdiente Auszeichnung. Vom edelsten Sizilianerwein haben wir nicht weniger als acht Sorten gekostet und dazu noch Champagner, Château d´Yquem und was weiß ich für Herrlichkeiten. Zum Schluß kam eine große Torte, auf der ein hoher Aufsatz aus versilberten Tieren und Pflanzen prangte. Dazu brachte Herr Sarauw mein Wohl in sehr herzlichen Worten aus, wogegen ich nachher die deutsche Kolonie in Messina leben ließ. Fast noch bis Mitternacht blieben wir sehr vergnügt beisammen . . .
Samstag, 31. 3., endlich machte ich alle die Abschiedsvisiten, was bei der großen Anzahl ziemlich den ganzen Tag ausfüllte. Abend war ich zum letztenmal bei Herrn Klostermann. Dann wurden alle dienstbaren Geister abgelohnt, die sich auch in die kümmerlichen Reste meiner Reisegarderobe brüderlich teilten. Mit Ausnahme des wenig gebrauchten, schwarzen Gala-Anzuges besteht dieselbe wesentlich nur noch aus einem braunen, verschiedentlich herr gescheckten Winterrock und aus einer Sommerhose, die bald mehr gelb, bald mehr grau, bald mehr grün aussieht, übrigens aber durch zahlreiche Flicken fast in Karrees geteilt ist. Ich bin also bald auf Capri-Kostüm reduziert und werde mich wohl entschließen müssen, mich noch hier in Paris neu zu equipieren.
Palmsonntag, der 1. April, war also der Tag, an dem ich dem schönen Süden, der mir in diesem verflossenen Jahre so viel Gutes und Schönes gespendet, vielleicht für immer Lebewohl sagte. Der Vapore, der mich nach Marsiglia bringen sollte, traf glücklicherweise erst um Mittag ein, so daß ich noch Zeit gewann, mir eine Skizze von dem mir so lieb gewordenen kalabrischen Bergen mitzunehmen, was ich bisher immer versäumt hatte. Um 2 Uhr schiffte ich mich ein. Die beiden Lüneburger (Dr. Keferstein und stud. Ehlers) und Dr. v. Bartels, der treue Stubennachbar, der mich so sorglich den Winter über gepflegt hatte, begleiteten mich an Bord. Letzterer schenkte mir zum Andenken noch ein sehr hübsches Buch. R. Töpfers "Voyages nouvelles en Zig-Zag autour du Mont Blanc etc.", mit zahlreichen, netten Illustrationen. Nach dem herzlichsten Abschied, der von seiten des guten Dr. v. B. wirklich rührend war, dampfte ich denn um 5 Uhr nachmittags aus dem herrlichen, glückspendenden Sichelhafen der alten Zancle fort, seltsam bewegt von widerstreitenden Gefühlen, teils von Bedauern über das Scheiden von all dem Schönen, was mir die gütige Natur hier so reich gewährt hatte, noch viel mehr aber voll Freude über die glückselige Zukunft, der ich entgegeneilte . . .
Als ich am Montag (2. 4.) morgen aufwachte, merkte ich schon an den heftigen Schwankungen, daß wir argen Gegenwind haben mußten, und als ich auf das Verdeck trat, sah ich ringsum nichts als eine weite, weiße Schaumfläche, die der heftigste Nordwind in ihrer Tiefe aufwühlte. Zwar prallten die wilden Wogen an dem mächtigen Riesenleibe unserer kolossalen, eisernen Festung wie an einem Felsen machtlos ab; aber doch knarrten beim heftigen Anschlag alle Fugen, und die Schwankungen waren so bedeutend, daß ich, nachdem ich einige Stunden meinen Lieblingsplatz vorn am Bugspriet behauptet und mich an dem wilden Schauspiel von Herzen geweidet hatte, doch etwas schwindlig wurde und mich in meiner Koje unten hinlegte, wo ich mich den süßesten Heimkehrträumen überließ. Der Nordsturm wütete den ganzen Tag mit derselben Gewalt fort, und so oft ich aufs Verdeck trat, hatte ich dieselbe Genugtuung, meinen Wunsch vollständig erfüllt zu sehen. Dies war auch der erste Tag meines Lebens, wo ich den ganzen Tag über, so weit das Auge reichte, gar nichts weiter als Himmel und Wasser sehen konnte. Als ich um Mitternacht wieder auf das Deck kam, hatte sich der Wind schon gelegt, und wir hatten nahe zur Linken die zerrissene Felsenküste der der Insel Sardinien, über der der Mond in einem trüb rötlichen Schleier unterging. Am Morgen des 3. 4., Dienstag, früh passierten wir die enge Bonifaziusstraße, die felsenreiche gefährliche Enge, die die beiden großen Inseln Sardinien und Korsika trennt. Die Küste trat von beiden Seiten sehr malerisch nah an das Schiff, mit wildzerrisenen Strandklippen und mehrfach übereinandergetürmten Gebirgsketten, die oberste ganz mit Schnee bedeckt. Die See war an diesem zweiten Tag ziemlich ruhig und der Boreas war wieder durch den Sirocco vertrieben, der frisch in die aufgehißten Segel blies. Am Morgen des dritten Tages, Mittwoch, 4. 4., um 5 Uhr ankerten wir im Hafen von Marseille nach grade 60stündiger glücklicher Überfahrt. Den Mittwoch blieb ich in Marseille, um mir diesen größten Handelshafen Frankreichs etwas anzusehen. Donnerstag, 5. 4., früh 8 Uhr setzte ich mich auf die Eisenbahn und fuhr in einem Strich bis Paris durch, wo ich heut mittag 12 Uhr glücklich anlangte . . .