Botanik ist die Wissenschaft von den Pflanzen. Doch was bedeutet diese Aussage? Ist Wissenschaft das, was heute in den Laboratorien erarbeitet wird, im Freiland beobachtet wird oder in großen Bibliotheken nachzulesen ist? Sicher sind das alles Aspekte, doch sie allein runden das Gesamtbild nicht ab. Wissenschaft ist gleichwohl eine intellektuelle Auseinandersetzung mit einem gegebenen Thema. Sie ist der Versuch, aus Einzelbeobachtungen etwas allgemein Gültiges zu erschließen, aus Bekanntem auf Unbekanntes zu extrapolieren und sich mit der Kritik gegenteiliger Argumente auseinanderzusetzen. Die Wissenschaft über Pflanzen hat eine lange Geschichte. Sie verlief wie die übrige menschliche Kulturgeschichte weder geradlinig noch zielstrebig: Phasen ausgiebigen Erkenntnisgewinns wechselten mit Rückschlägen ab. Vor allem in den zurückliegenden Jahrhunderten wurden Ansichten mit äußerster Härte, oft mit Polemik und persönlicher Diffamierung Andersdenkender ausgefochten, wenngleich die Auseinandersetzungen nicht an das Ausmaß der Inquisition G. GALILEIs heranreichten.
Fehldeutungen von Befunden gehören genauso wie ihre Richtigstellung zum Alltag einer jeden Wissenschaft. Zu einer akzeptierten - oft auch Lehrbuchmeinung genannten - Aussage zählen Befunde, zu denen es (zu einem bestimmten Zeitpunkt) Zustimmung gibt, die mit anderen, verwandten Aussagen (oder Beobachtungen) im Einklang stehen und die (fast) allen Versuchen, sie zu widerlegen, standhalten. Nicht selten werden gegenteilige Befunde (oft sehr lange) als "unwesentliche Ausnahmen" hingenommen, ehe eine neue Hypothese oder mit neuartigen Methoden gewonnene Ergebnisse diese Befunde bestätigen und die alten Vorstellungen in ein neues Licht rücken.
Die Geschichte der Wissenschaft ist die Geschichte eines Lernprozesses. Die Beschäftigung mit Pflanzen und die Entwicklung menschlicher Kultur sind nicht voneinander zu trennen. Pflanzen sind wichtige Nahrungsmittel des Menschen und nicht nur für ihn, sondern für alle Primaten, viele Mammalia, andere Vertebraten usw. Es gehört demnach auch nicht zu den kulturellen Errungenschaften des Menschen, erkannt zu haben, daß bestimmte Pflanzen nahrhafter als andere sind und manche gemieden werden müssen, weil sie voller Bitter- und/oder Giftstoffe sind. Tiere meiden sie aus Erfahrung oder einem Instinkt folgend. Pflanzen dienen nicht nur der Nahrung. Sie können zu Werkzeugen verarbeitet werden oder dienen als Material zum Bau von Behausungen.
Worin liegen nun die Leistungen früher menschlicher Kulturen, und inwieweit haben sie es verstanden, Pflanzen zu nutzen?
Der entscheidende Aspekt mag wohl in der Tatsache liegen, daß es ihnen gelang, bestimmte Arten zu selektieren und in Kultur zu nehmen. Daraus ergaben sich neue Aufgaben. Seßhaftigkeit und Entwicklung neuer Sozialstrukturen waren ebenso entscheidend wie die Fortentwicklung von Anbauverfahren (Bearbeitung des Bodens) und der Lagerung der Ernte. Durch Erfahrung gewann man die Einsicht, daß höhere Erträge durch die Wahl geeigneten Saatguts zu erzielen seien. Damit waren die Grundlagen einer Pflanzenzüchtung gelegt; es entstanden Kulturpflanzen (zahme Pflanzen, wie sie die Griechen in der Antike nannten), die sich in immer stärkerem Maße von den Wildformen unterschieden. Die Nutzung des Feuers war ein wesentlicher Fortschritt bei der Zubereitung von Nahrungsmitteln.
Zu den ersten und auch heute noch wichtigsten Kulturpflanzen gehören eine Anzahl von Grasarten (Getreide). Ihre Samen sind unaufgeschlossen schlecht verdaulich, und vielleicht war gerade der Umgang mit ihnen eine Herausforderung an den menschlichen Verstand, etwas zu unternehmen, um sie in eine eßbare Form zu überführen. Getreidearten waren aber nicht die einzigen Kulturpflanzen. Die frühen, uns noch erhaltenen Kunstwerke und schriftlichen Dokumente überliefern uns, daß der Mensch eine Anzahl von Pflanzenarten nutzte und bereits die Erfahrung besaß, sie für ganz bestimmte Zwecke einzusetzen. So finden sich in altbabylonischen Schriften (erhalten in arabischen Übersetzungen) Hinweise über die Bearbeitung des Bodens, über die Verbesserung von Saaten, Bäumen und Früchten sowie über den Schutz der Pflanzen vor Schäden. Besonderer Wert wurde auf die Beschreibung von Giften und die Nutzung von Arzneipflanzen gelegt.
Auf neuere Entwicklungen in der Landwirtschaft weisen die beiden folgenden Essays hin:
Eine Fülle von Erkenntnissen wurde bereits in den ersten Büchern des Alten Testaments dargelegt. K. SPRENGEL hat 1817 in seiner "Geschichte der Botanik" den ersten großen Versuch unternommen, alles über das Wissen von Pflanzen in der Literatur der Antike zusammenzutragen und die in vielen Sprachen unterschiedlichen Pflanzenbezeichnungen zu deuten. Zur lllustration dessen seien einige Beispiele genannt:
Relief mit Papyrusstauden und Lotus am Tempel von Luxor (Oberägypten) - abfliegende Enten mit Papyrusstauden und Lotus (Original der Abbildung im Ägyptischen Museum in Kairo - Reproduktion auf Papyrus)
Die Ägypter produzierten aus dem Mark von Papyrus (Cyperus papyrus) Papier. Da schon damals ein großer Bedarf dafür bestand, stellte sich die Frage, ob Papyrus auch ohne Schlamm aufwachsen könne. Die Papyrusstaude diente jedoch nicht nur der Papierherstellung, es wurden daraus auch Kränze für Könige und Götter gewunden, zudem diente sie als Vorbild beim Bau von Säulen in oberägyptischen Tempeln und häufig schmückte sie deren Reliefs.
Die Ägypter kannten ursprünglich nur den Sommerweizen; der
Winterweizen wurde erst wesentlich später aus dem Sommerweizen heraus
gezüchtet. Bekannt waren der Ölbaum,
die Weinrebe und der
Feigenbaum.
Letzterer lieferte zwar schmackhafte Früchte, doch nur sehr schlechtes
Bauholz.
Pflanzen wurden aber nicht nur unter rein nützlichen Gesichtspunkten gesehen. Man durchschaute zwar nicht alle ihre Eigenarten, schrieb ihnen aber besondere Kräfte zu und hielt einige von ihnen für heilig. So war die Lotuspflanze (Nelumbo nucifera) den alten Ägyptern ebenso wie den Hindus und anderen östlichen Völkern heilig. Ihre Früchte wurden gegessen, nur den ägyptischen Priestern waren sie verboten.
In vielen alten Sagen wurde den Pflanzen Sanftheit und Zartheit der Gefühle zugeschrieben, in allen Kulturkreisen wurde die Schönheit und die Vergänglichkeit der Blüten gesehen und mit emotionellen Werten belegt. Von den Griechen und Römern sind nur wenige bildliche Darstellungen von Pflanzen überliefert, doch um so häufiger erschienen sie in ihrer Mythologie. Die Entstehung der Pflanzen wurde mit Göttersagen verknüpft. Der Spartaner Hyacinthos, von Apoll geliebt, wurde in eine Blume gleichen Namens verwandelt. Das gleiche Schicksal widerfuhr Narcissos. Die Heliaden, die Töchter der Sonne, wurden zu Schwarzpappeln, welche Electron (Bernstein) ausschwitzten.
HOMERs Kenntnis der Pflanzen beschränkte sich auf nützliche, vorwiegend aus Kleinasien stammende Arten. Zu den wichtigsten Kulturpflanzen Griechenlands und Kleinasiens gehört der Ölbaum, der einer Sage nach von Prometheus, als er von Herkules befreit wurde, vom Kaukasus nach Griechenland gebracht worden sein soll. Klar unterschied HOMER zwischen den wilden und den zahmen Formen (Kulturformen).
Arzneipflanzen spielten in Griechenland eine herausragende Rolle. Sie wurden von Wurzelgräbern (Rhizotomen) gesammelt. Diese arbeiteten mit Aberglaube und angeblicher Zauberei. Die Richtung des Windes, die Stunde des Tages oder der Nacht waren erfolgsentscheidend. Tänze und Gebete, oft auch obszöne Äußerungen begleiteten die Pflanzensuche. Der wohl geschickteste Rhizotom (nach Aussage von THEOPHRAST, siehe folgenden Abschnitt) war Thrasyas von Mantinea. Er befaßte sich mit der Bereitung von Giften aus Mohnsaft und Schierling und stellte fest, daß dieselbe Pflanze, je nach Anlage des Körpers, bisweilen Arzneikräfte, manchmal keine und manchmal Giftwirkungen ausübte.
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